Und morgens steht sie nackt
am Fenster, etwas Banales
etwas Göttliches, und sieht
die Gegenwart, wie die sich
unten auf der Straße bemüht
sie träumt auf russisch
und raucht filterlose Franzosen
gießt vorm Frühstück den Teppich
verleugnet Schulfreunde und hat
sich nie den Arm abgebunden
sie hat den falschen Freund
und selten Geld auf der Kante
den Tag, also genau diesen
den Tag, denkt sie manchmal
den hatte schon mal jemand
sie hat keine Fotos an den Wänden
und nach der Tagesschau
ein gewöhnliches Gesicht, sie denkt sich
einen Satz wie diesen oder jenen
etwas Banales, etwas Göttliches
am Wochenende sei sie, sagen
ihre Freunde, eine Mischung
aus Kneipentier und Partyknaller
manchmal, wenn sie tanzt, habe sie
Männer an den Beinen
am liebsten beendet sie ihre Sätze
mit: „Kannst du mir folgen?“
sie lacht nicht oft, doch manchmal
lächelt sie versteckt, am schönsten
redet sie, wenns regnet
Jetzt beginnen die Dörfer
zu leuchten, sagtest du, ich
nahm den Kiesel, den ich
seit Tagen bei mir trug
und zielte auf die nächste Laterne
und sagte, die Dörfer
beginnen zu leuchten
Björn Kuhligk wurde 1975 in Berlin geboren, wo er heute als Buchhändler arbeitet. Er ist Redakteur der Literaturzeitung lauter niemand und Mitherausgeber der Anthologie Lyrik von Jetzt (2003). Er veröffentlichte in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien. Im Berlin Verlag erschienen seine Gedichtbände „Am Ende kommen Touristen“ (2002) und „Großes Kino“ (2005)